BVerwG: Abbruch eines Auswahlverfahrens

Beschluss vom 25.07.2022 Az.: BVerwG 2 VR 1.22

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Dienstherr kann ein von ihm eingeleitetes Auswahlverfahren aus einem sachlichen Grund beenden (BVerwG, Urteile vom 25. April 1996 – 2 C 21.95 – BVerwGE 101, 112, 114 f. und vom 31. März 2011 – 2 A 2.09 – Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 48 Rn. 16). Dabei unterliegt er unterschiedlichen rechtlichen Bin-dungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2018 – 2 VR 4.18 – Buch-holz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 90 Rn. 15 ff. m. w. N.).

a) Der Dienstherr kann ein Auswahlverfahren abbrechen, wenn er zu der Einschätzung gelangt, der konkrete Dienstposten solle mit dem ursprünglich festgelegten Zuschnitt oder der ursprünglichen besoldungsrechtlichen Einstufung nicht mehr besetzt werden. Die Entscheidung über den Zuschnitt von Dienstposten unterfällt dem weiten, dem Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerten Organisationsermessen des Dienstherrn. Subjektive Rechte des Beamten gegen den neuen Zuschnitt eines Dienstpostens bestehen nicht. Die Schaffung und Bewirtschaftung von Planstellen und der Zuschnitt von Dienst-posten dienen allein dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Erfüllung der öffentlichen Aufgaben. Das Organisationsermessen des Dienstherrn wird durch den bloßen Umstand der Eröffnung eines Auswahlverfahrens nicht eingeschränkt. Denn die Ausschreibung begründet nicht das schutzwürdige Vertrauen der Betroffenen, dass sich der Dienstherr mit der Ausschreibung hinsichtlich seiner Organisationsgewalt unwiderruflich bindet. Da die Entscheidung, einen bereits ausgeschriebenen Dienstposten nicht mehr wie ursprünglich geplant besetzen zu wollen, der personalwirtschaftlichen Entscheidung darüber gleichgestellt ist, ob und welche Ämter geschaffen und wie Dienstposten zugeschnitten werden sollen, ist die gerichtliche Kontrolle insoweit auf die Prüfung beschränkt, ob sich die Entscheidung zum Abbruch als willkürlich oder rechtsmissbräuchlich erweist.

b) Der Dienstherr kann das Auswahlverfahren auch dann abbrechen, wenn er den unverändert bleibenden Dienstposten weiterhin vergeben will, aber den Ausgang des ersten Auswahlverfahrens als unbefriedigend empfindet oder das bisherige Verfahren nach seiner Einschätzung an nicht behebbaren Mängeln mit der Folge leidet, dass eine den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG gerecht werdende Auswahlentscheidung allein in einem weiteren Auswahlverfahren denkbar erscheint. Insoweit geht es nicht um das dem Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerte Organisationsermessen des Dienstherrn, sondern bereits um das Auswahlverfahren, für das die aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Bewerbungsverfahrensansprüche maßgebend sind. Der vom Dienstherrn für den Abbruch vorgebrachte Grund muss in diesem Fall den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG genügen.
Ein sachlicher Grund für den Abbruch eines Auswahlverfahrens liegt auch dann vor, wenn dem Dienstherrn im Wege einer einstweiligen Anordnung rechtskräftig untersagt worden ist, den von ihm Ausgewählten zu ernennen oder ihm einen höherwertigen Dienstposten zu übertragen; der Dienstherr darf dann das bisherige Verfahren abbrechen, um in einem neuen Verfahren eine dem Art. 33 Abs. 2 GG genügende Entscheidung zu treffen. Aus dem Senatsbeschluss vom 10. Dezember 2018 – 2 VR 4.18 – (Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 90) ergibt sich nichts anderes; dass die Fallgruppe der erlassenen einstweiligen Anordnung in dieser Entscheidung – für die sie keine Rolle spielte – nicht genannt wird, bedeutet nicht, dass der Senat sie nicht mehr als sachlichen Grund für einen Abbruch des Auswahlverfahrens ansieht (so zutreffend: VGH Mannheim, Beschluss vom 8. November 2021 – 4 S 1431/21 – juris Rn. 30 ff., auch mit Nach-weisen zum Meinungsstand).

3. Danach wäre die Entscheidung der Antragsgegnerin vom Dezember 2021, das Auswahlverfahren abzubrechen, voraussichtlich als rechtsfehlerhaft zu qualifizieren gewesen, sodass das Eilrechtsschutzbegehren des Antragstellers erfolgreich gewesen wäre.
Grundlage der gerichtlichen Überprüfung können – ähnlich wie bei Eilrechtsschutzbegehren nach einer getroffenen Auswahlentscheidung – nur die Gründe sein, die der Dienstherr bei seiner Abbruchentscheidung genannt hat; spätere Ergänzungen können nur berücksichtigt werden, wenn sie die zuvor genannten Gründe lediglich konkretisieren, nicht aber, wenn sie sich als Nachschieben oder Auswechseln von Gründen darstellen.
a) Soweit die Antragsgegnerin ihre Abbruchentscheidung damit begründet hat, dass ein wesentlicher Qualitätsvorsprung des Antragstellers entgegen der ursprünglichen Einschätzung nicht bestehe und eine neue Auswertung der bislang zugrunde gelegten dienstlichen Beurteilungen nicht möglich sei, weil nunmehr normativ ein kürzerer Beurteilungsturnus als bisher vorgesehen sei, kann dies die Abbruchentscheidung nicht rechtfertigen. Dies gilt unabhängig davon, ob im vorliegenden Fall der geltend gemachte Aktualisierungsbedarf überhaupt bestand, jedenfalls deshalb, weil die Antragsgegnerin nicht gehindert war, im laufenden Stellenbesetzungsverfahren aus ihrer Sicht erforderliche Korrekturen oder Anpassungen – etwa im Hinblick auf inzwischen vorliegende aktuellere dienstliche Beurteilungen – vorzunehmen. Keiner Entscheidung hätte deshalb bedurft, ob die Abbruchentscheidung letztlich darauf zurückgeht, dass das „Kennenlerngespräch“, bei dem nach den internen Vorgaben der Antragsgegnerin die Eignung des Antragstellers möglicherweise nicht mehr zu prüfen war, aus der Sicht des Bedarfsträgers Eignungsdefizite in Bezug auf den zu besetzen-den Dienstposten ergeben hat.
b) Soweit man die Ausführungen der Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren noch als Konkretisierung der bei der Abbruchentscheidung mitgeteilten Gründe ansieht und sie deshalb berücksichtigen kann, rechtfertigen sie die Abbruchentscheidung ebenfalls nicht. Unabhängig davon, ob die „Freeze Phase“, die nach den eigenen Regeln der Antragsgegnerin förderlichen Personalmaßnahmen nicht entgegenstand, die fragliche Referatsgruppe betraf, rechtfertigte eine Phase, in der der Dienstherr organisatorische Änderungen lediglich erwägt, zwar das Nichtweiterbetreiben von Auswahlverfahren, nicht aber ihren Abbruch. Ein Abbruch wäre etwa dann möglich gewesen, wenn die Antragsgegnerin sich im Zeitpunkt der Abbruchentscheidung zu einem anderen Stellenzuschnitt, einer ämtergleichen Stellenbesetzung oder der Öffnung auch für weitere Statusgruppen (Beamte) entschlossen hätte. Einen solchen Entschluss hatte sie seinerzeit aber nicht gefasst. Dass sie ggf. solche Änderungen bereits erwogen hatte, könnte einen Abbruch nicht rechtfertigen. Zum einen war denkbar, dass die Überlegungen zu dem Ergebnis führten, dass keine Änderung veranlasst ist. Und zum anderen war die Antragsgegnerin auch im laufenden Stellenbesetzungsverfahren nicht gehindert, zunächst keine Auswahlentscheidung zu treffen oder eine getroffene Auswahlentscheidung nicht umzusetzen, wenn sie dies aus den genannten Gründen für geboten hielt. Sie war auch nicht gehindert – wie geschehen – nach Abschluss ihrer Überlegungen und erkanntem Änderungsbedarf eine Abbruchentscheidung hierauf zu stützen.