BAG: Außerordentliche Kündigung bei Kurzerkrankungen
BAG: 25.04.2018 – 2 AZR 6/18:
1.Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist eines ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses kann gerechtfertigt sein, wenn aufgrund der zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten ein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht.
2.Wann dies der Fall ist, hängt von den Voraussetzungen und der Ausgestaltung des dem AN eingeräumten tariflichen Sonderkündigungsschutzes ab.
Der 50jährige Kläger ist seit 1992 bei der Beklagten als ungelernter Pflegehelfer im Patientenbegleitservice beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TV-L Anwendung. Nach § 34 II TV-L sind AN tariflich unkündbar, wenn sie das 40. Lebensjahr vollendet haben und mehr als 15 Jahre Betriebszugehörigkeit aufweisen.Zwischen dem 29.9.2011 und 28.3.2013 war der Kläger ununterbrochen krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Vom 1.8.2013 bis 31.7.2016 fehlte er jeweils kürzere Zeiträume von höchstens zehn Arbeitstagen, in der Summe nach Vortrag der Beklagten 279 Arbeitstage und damit durchschnittlich 93 Arbeitstage pro Jahr. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit notwendiger Auslauffrist zum 31.3.2017. Unter Geltung einer tariflichen Regelung wie derjenigen in §34 Abs. 2 Satz 1 TV-L liegt ein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, wenn damit zu rechnen ist, der AG werde für mehr als ein Drittel der jährlichen Arbeitstage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten müssen. Bei der Bemessung der Entgeltfortzahlungskosten sind tarifliche Zuschüsse zum Krankengeld nicht einzubeziehen; diese sind vielmehr „kündigungsneutral“. Bei einer Kündigung, die auf häufige Kurzerkrankungen gestützt wird, ist zur Erstellung der Gesundheitsprognose regelmäßig ein Referenzzeitraum von drei Jahren vor Zugang der Kündigung bzw. vor Einleitung des Verfahrens zur Beteiligung des Betriebsrats zugrunde zu legen. Maßgeblich ist insoweit, für welche Tage der AN einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hatte, und nicht darauf, für wie viele Tage der AG ihm -ggf. unberechtigt -Entgeltfortzahlung geleistet hat. Insofern gilt eine abgestufte Darlegungs-und Beweislast.